MR-Kontrastmittel

Die Risiko-Nutzen-Abwägung gebietet Gabe makrozyklischer Kontrastmittel

PD Dr. med. Assessor juris Alexander Radbruch PD Dr. med. Assessor juris Alexander Radbruch ist Oberarzt in der Abteilung Radiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum und veröffentlichte zahlreiche Beiträge zum Thema Gadolinium-Ablagerungen im Gehirn. Mit seiner Heidelberger Arbeitsgruppe (Universitätsklinik, Abteilung Neuroradiologie und DKFZ, Abteilung Radiologie) erforschte er das unterschiedliche Ablagerungsverhalten von makrozyklischen und linearen Kontrastmitteln. Im Interview kommentiert der Neuroradiologe die jüngste Stellungnahme des Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA).

Am 10.03.2017 veröffentlichte die PRAC ihre jüngste Entscheidung zu Gadolinium-haltigen Kontrastmitteln. Was genau beinhaltet diese europäische Empfehlung hinsichtlich der Verwendung der Kontrastmittel?

Das PRAC hat empfohlen, die Zulassung für die sogenannten linearen Gadolinium-haltigen Kontrastmittel (Omniscan®, Optimark®, Magnevist® und Multihance®) zu widerrufen. Ausgenommen von dieser Entscheidung ist die Verwendung des linearen Gadolinium-haltigen Kontrastmittels Primovist® für bestimmte Fragen der Leberbildgebung. Bei diesem Kontrastmittel nimmt das PRAC einen diagnostischen Nutzen an, der mit makrozyklischen Kontrastmitteln nicht erbracht werden kann. Ausgenommen von dem Widerruf ist auch die Verwendung des linearen Kontrastmittels Magnevist® für die intraartikuläre Injektion, da hier die Menge des injizierten Gadoliniums 200-fach geringer ist als bei der üblichen intravenösen Applikation. Grund für die Entscheidung des PRAC ist eine Reihe von Studien, die in den vergangenen zwei Jahren über Gadolinium-Ablagerungen im Gehirn nach serieller Gabe von Gadolinium-haltigen Kontrastmitteln berichteten. Die Entscheidung des PRAC ist jedoch noch nicht rechtsverbindlich und verschiedene Firmen haben bereits von ihrer Widerspruchsmöglichkeit Gebrauch gemacht.

Wie ist der aktuelle Stand der Forschung?

Die wesentlichen pathophysiologischen Grundlagen der Ablagerungen konnten in den vergangenen Monaten maßgeblich durch Tierexperimente aus der Bayer-Gruppe um Hubertus Pietsch in Berlin geklärt werden. Sie zeigen, dass ein geringer Anteil der intravenös injizierten Gadolinium-haltigen Kontrastmittel unmittelbar nach der Injektion über den Plexus Choroideus und den Liquor in das Gehirn gelangt. Wichtig ist, dass sich in den Tierexperimenten keinerlei Unterschied der Gadolinium-Konzentration im Gehirn für die unterschiedlichen Gadolinium-haltigen Kontrastmittel 24 Stunden nach der Injektion fand. Das heißt,  makrozyklische und lineare Kontrastmittel gelangten im gleichen Ausmaß in das Gehirn. Vier Wochen nach Injektion konnte Gadolinium jedoch nur noch für die linearen, nicht aber für die makrozyklischen Kontrastmittel nachgewiesen werden.

Gibt es hierfür eine Erklärung?

Ja, und zwar die neuesten Tierdaten ebenfalls aus der Gruppe von Hubertus Pietsch: Nach Gabe linearer Kontrastmittel konnte an Makromoleküle-gebundenes Gadolinium nachgewiesen werden, nicht jedoch nach der Gabe makrozyklischer Kontrastmittel. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass die Hyperintensitäten im Gehirn durch von linearen Kontrastmitteln freigesetztes und in der Folge an Makromoleküle gebundenes Gadolinium verursacht werden. Da makrozyklische Kontrastmittel das Gadolinium fester binden, tritt dieser Effekt bei diesen Kontrastmitteln nicht – oder nur in erheblich geringerem Ausmaß – auf.  Die Ergebnisse aus Berlin decken sich komplett mit den Arbeiten unserer Gruppe in Heidelberg. In mittlerweile sechs Studien konnten wir nach der Gabe von linearen Kontrastmitteln bei Patienten Hyperintensitäten im Nukleus Dentatus nachweisen, nicht aber nach Gabe von makrozyklischen Kontrastmitteln.  In einer im Dezember 2016 in Radiology veröffentlichten Arbeit konnte unsere Gruppe selbst nach 23 Gaben und annähernd einem halben Liter injiziertem makrozyklischem Kontrastmittel keinen Signalanstieg im Nukleus Dentatus finden.

Was können Sie aktuell Ihren Kollegen raten?

Ruhe bewahren und keine Angst beim Patienten schüren. Radiologen sollten immer wieder betonen, dass keinerlei klinische Korrelate bekannt sind. Ich gehe auch nicht davon aus, dass klare klinische Symptome der Gadolinium-Ablagerungen im Gehirn jemals nachgewiesen werden können. Theoretisch ist es gut möglich, dass die Gadolinium-Ablagerungen komplett harmlos sind und wir eine Geisterdebatte führen. Aber auch das Gegenteil –  dass Gadolinium-Ablagerungen keine klinischen Korrelate verursachen – wird man wohl  nicht beweisen können. Ich teile daher die Auffassung des PRAC, dass die Risiko-Nutzen-Abwägung in den allermeisten Fällen die Gabe makrozyklischer Kontrastmittel gebietet. Hinsichtlich der Ausnahmetatbestände wird man über Einzelheiten streiten können.  Letztlich glaube ich aber nicht, dass sich die Grundausrichtung der PRAC- Entscheidung eines präferentiellen Gebrauchs von Makrozyklen nach Ausschöpfung aller Widerspruchsmöglichkeiten durch die Firmen wesentlich ändern wird. Dafür ist die Beweislage in der Kombination aus theoretischen Erwägungen, In-vitro-Experimenten, Tierexperimenten und retrospektiven Patientenstudien zu eindeutig. Von daher spricht einiges dafür, dass wir uns als Radiologen darauf vorbereiten sollten, dass die PRAC- Entscheidung in absehbarer Zeit rechtsverbindlich wird.  Persönlich hoffe ich, dass sich die Gadolinium-Debatte mit der präferentiellen Anwendung von makrozyklischen Kontrastmitteln in der Zukunft beruhigen wird. In meinen Augen bleibt die wohl größte Gefahr der gegenwärtigen Diskussion, dass klinisch indizierte Kontrastmittel-Gaben aus Sorge vor Gadolinium-Ablagerungen im Gehirn unterbleiben.

Die Stellungnahme der PRAC im Wortlaut:

http://www.drg.de/de-DE/3353/mrt-kontrastmittel

Interview-Radbruch