Minimalinvasive Behandlungen beim Schlaganfall – Zahl der mechanischen Thrombektomien erneut gestiegen

PRESSEMITTEILUNG zum Tag gegen den Schlaganfall 10.05.2023

Berlin, im Mai 2023. Deutschland ist bei der Akutversorgung nach einem ischämischen Schlaganfall hervorragend aufgestellt. „Wir haben hierzulande eine der besten flächendeckenden Versorgungen beim akuten ischämischen Schlaganfall“, erklärt Professor Dr. Peter Schramm, Neuroradiologe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, anlässlich des Tags gegen den Schlaganfall am 10. Mai 2023.

Über 16.000 Eingriffe dokumentiert – fast hundert spezialisierte Zentren

Gemeinsam mit der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) sowie der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und Minimalinvasive Therapie (DeGIR) veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) in diesen Wochen die Behandlungszahlen des DeGIR-/DGNR-Interventionsregisters 2022. Demnach wurde für das abgelaufene Jahr die interventionelle Behandlung von 16.475 akuten ischämischen Schlaganfällen mittels mechanischer Thrombektomie dokumentiert. Damit haben sich die Zahlen der dokumentierten Eingriffe dieser in der Neuroradiologie entwickelten Behandlungsmethode in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren nahezu verdoppelt, so Prof. Schramm, Incoming President der DGNR und einer der wissenschaftlichen Koordinatoren der Datenbank.  Auch die Zahl der Zentren, in denen diese hochspezialisierte Leistung erbracht werden, ist gestiegen und liegt aktuell bei 98 Kliniken im gesamten Bundesgebiet.

„Mehr als 85 Prozent aller jährlich auftretenden rund 270.000 Schlaganfälle in Deutschland werden durch ein Blutgerinnsel (Thrombus) verursacht, welches ein Blutgefäß im Gehirn verschließt“, so Prof. Schramm. Man spricht dann von einem ischämischen Schlaganfall. Die Folge ist, dass Teile des Gehirns nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden und damit Sauerstoff und wichtige Nährstoffe in diesen Regionen nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen. Seit dem Jahr 2015 ist die Wiedereröffnung eines größeren verschlossenen Hirngefäßes mit Hilfe der sogenannten mechanischen Thrombektomie wissenschaftlich nachgewiesener Goldstandard bei der Behandlung schwerer ischämischer Schlaganfälle. „Dabei schieben spezialisierte

(Neuro-)Radiolog*innen von der Leiste aus einen Katheter bis an die Stelle des Gehirns, wo das Blutgerinnsel eine Arterie blockiert“, erklärt Prof. Schramm. Mithilfe minimal-invasiver Techniken und kleinster Instrumente kann der Thrombus dann geborgen und über spezielle Katheter abgesaugt (aspiriert) werden. Die (Neuro-)Radiolog*innen orientieren sich während des Eingriffs in den Gehirngefäßen mithilfe der Angiografie, einer Röntgendurchleuchtungstechnik, die nach Gabe von Kontrastmittel die Gefäße sichtbar macht.

Weiteren Auftrieb bekam die minimalinvasive Behandlung zuletzt durch zwei Studien, die zeitgleich im Februar dieses Jahres im The New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden. „Beide Arbeiten mit jeweils 352 bzw. 456 eingeschlossenen Patienten konnten eindrucksvoll belegen, dass selbst Patienten mit schwerem Schlaganfall durch Verschlüsse großer intrakranieller Arterien teilweise bis zu 24 Stunden nach Symptombeginn noch von der mechanischen Entfernung des Gerinnsels profitieren“, so Prof. Schramm. Trotzdem gilt generell: Je früher das verschlossene Blutgefäß wieder eröffnet werden kann, um so wahrscheinlicher ist es, dass die Betroffenen vollständig und ohne bleibende Beeinträchtigungen genesen.

Fachgesellschaft setzt auf strukturierte Fortbildung

Eine große Bedeutung für den Erfolg der mechanischen Thrombektomie  hat die strukturierte Fortbildung der behandelnden Ärztinnen und Ärzte.  „Die Arbeit mit minimalinvasiven Katheter-Techniken im Inneren des Gehirns erfordert sehr viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl“, so Prof. Schramm.  Um die minimalinvasive Behandlung von Schlaganfallpatienten auf bestmöglichem Niveau sicherzustellen, ist nicht nur eine ausreichende Anzahl an Neuroradiologen erforderlich, sondern vor allem muss die spezifische Expertise für diese gefäßeröffnenden Maßnahmen der hirnversorgenden Gefäße sichergestellt sein.

„Um dieses zu gewährleisten, haben die Fachgesellschaften DGNR, DeGIR und DRG eine Zertifizierung für die neurointerventionelle Schlaganfallbehandlung etabliert“, berichtet Prof. Schramm. Seit dem Aufbau des Programms bis einschließlich März 2023 konnten über 370 Fachärztinnen und Fachärzte zertifiziert werden. Erforderlich für den Erwerb des Zertifikats für Schlaganfallbehandlungen ist der Facharzttitel Radiologie, der Nachweis über mindestens 100 erfolgreich durchgeführte minimalinvasive Behandlungen an den Gefäßen im Kopfbereich und der Besuch verschiedener Fortbildungsveranstaltungen. Am Ende steht ein schriftliches Prüfungsverfahren.

Wichtig zu betonen ist es Prof. Schramm darüber hinaus, dass die mechanische Thrombektomie in die Hände von hierfür speziell ausgebildeten Radiolog*innen und Neuroradiolog*innen gehört, denn diese Facharztrichtungen verfügen über das notwendige pathophysiologische und technische Wissen, das zur erfolgreichen Anwendung dieses minimalinvasiven Verfahrens in Hirngefäßen notwendig ist.  Zudem muss die  Thrombektomie in das flächendeckende Netzwerk zertifizierter Stroke Units eingebunden sein. „Nur in diesen Strukturen ist es möglich, die Sterblichkeit beim schweren Schlaganfall weiter zu senken und das Behandlungsergebnis für Patientinnen und Patienten zu verbessern“, erklärt Prof. Schramm.

Tag gegen den Schlaganfall

Am 10. Mai 2023 findet in Deutschland der Tag gegen den Schlaganfall statt. Bundesweit gibt es zu diesem Anlass an und um den Tag vielfältige Aktionen und Informationsveranstaltungen rund um den Schlaganfall. Dieser Aktionstag wurde 1999 von der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe ins Leben gerufen. Mehr Informationen unter www.schlaganfall-hilfe.de

Über die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR e.V.)

Neuroradiologie ist ein wachsendes Fach, das Spektrum der Fragestellungen erweitert sich von Jahr zu Jahr, die Behandlungsmöglichkeiten entwickeln sich atemberaubend schnell. Solche Neuerungen erfordern die Erarbeitung neuer Leitlinien, eine stetige Fort- und Weiterbildung sowie eine starke Vertretung der Neuroradiologie anderen medizinischen Bereichen gegenüber. Als Fachgesellschaft hat es sich die DGNR zur Aufgabe gemacht, für die Interessen der Neuroradiolog*Innen einzutreten und die Fort- und Weiterbildung voranzutreiben. Auf dem jährlichen Kongress lädt die Gesellschaft hochkarätige Vertreter*Innen des Fachs ein, um die Mitglieder stets auf dem neuesten Stand zu halten. Die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie, gegründet 1967, zählt aktuell über 1.500 Mitglieder und ist damit die mitgliederstärkste Organisation der Neuroradiologie in Europa. Das Aufgabengebiet der Neuroradiologie umfasst die Diagnostik und die Behandlung (Therapie) von Erkrankungen und Veränderungen des Zentralen Nervensystems (ZNS), d.h. von Gehirn und Rückenmark. Die Neuroradiologie ergänzt somit mit radiologischen Untersuchungstechniken unter anderem die Nachbardisziplinen Neurologie, Neurochirurgie  und bietet Hilfe und Alternativen in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht. Bei einer Reihe von Erkrankungen werden als wichtiger und deutlich zunehmender Bereich der Neuroradiologie auch minimalinvasiv-therapeutische Verfahren eingesetzt, die unter dem Begriff der Interventionellen Neuroradiologie zusammengefasst sind.

Nachweise der erwähnten Studien: